„Lieber Arm ab, als arm dran“

Grenzerfahrungen: Rainer Schmidt erzählt im Hegau-Jugendwerk über sein gutes Leben als „Behinderter“ 

Gailingen. Er erzählte frisch von der Leber weg und gewann damit schnell die Herzen der Patienten des Hegau-Jugendwerks: Rainer Schmidt, Pfarrer, Buchautor, mehrfacher Goldmedaillen-Gewinner bei den Paralympics in der Disziplin Tischtennis und „behindert“ kam zu einer Doppelstunde Unterricht ins Hegau-Jugendwerk in Gailingen. 

Er sprach über das Thema „Grenzen haben – erfüllt leben“. Rainer Schmidt weiß wovon er spricht; der 45-Jährige kam mit stark verkürzten Armen und ohne Hände sowie einem stark verkürztem Bein auf die Welt. Er weiß deshalb was es heißt, mit Einschränkungen leben zu müssen. Seine Botschaft an die Rehabilitanden war dennoch klar und deutlich: „Lieber Arm ab als arm dran“, so auch der Titel seines jüngsten Buchs. 

  

Oft sei es die Umwelt, die einen behindert, stellt Schmidt fest – angefangen bei schwer zugänglichen Gebäuden bis zu den Mitmenschen, die dem weit verbreiteten Glauben unterlegen: „wenn man behindert ist, geht nichts im Leben“. Doch das stimme nicht, ist Schmidt überzeugt. Es sei ärgerlich, wenn andere einen „als behindert und deshalb als doof ansehen und auch so behandeln“, schließlich sei man nicht am Willen behindert. Schon in seiner Zeit auf einer Sonderschule habe er gemerkt: „die ganzen behinderten Kinder waren eigentlich total normal“. 

Was also ist „behindert“? Wann ist man behindert und wer ist behindert, fragte Schmidt in den Raum. Seine „normal“ gesunde Schwester habe zwar Hände, könne aber trotzdem nicht Klavier spielen und außerdem auch nicht singen. Er selber könne auch nicht Klavier spielen, aber singen. Wer also von den Beiden ist denn nun mehr behindert? Auch für augenscheinlich nicht behinderte Menschen gibt es Grenzen. „Es gibt kein Mensch, der alles kann“, gab Schmidt den jugendlichen Patienten mit auf den Weg. Jeder Mensch sei anders, das sei normal. Statt darüber zu jammern, was man nicht könne, solle man sich darauf konzentrieren, was man kann, forderte der 45-Jährige seine Zuhörer auf. 

Mit erfrischender Offenheit und mit viel Wortwitz erzählte Schmidt den gebannt lauschenden Rehabilitanden von sich, seiner Kindheit, seiner Schulzeit und seinem beruflichem Werdegang – der trotz Handicap eine Erfolgsgeschichte ist. Das lag am eigenen Willen, das Beste aus den eigenen Fähigkeiten zu machen und an den richtigen Menschen zur richtigen Zeit. So ermöglichte ihm ein findiger Bekannter eine Armprothese, die dem damals Zwölfjährigen das Tischtennisspiel erstmals möglich machte. Auch ohne Finger bewies Schmidt bei dieser Sportart das richtige Fingerspitzengefühl. Ein verständiger Schulleiter ermöglichte den Zugang zum Gymnasium, später erfolgte das Theologiestudium – moderne Hilfsmittel machen es möglich. Gute Hilfsmittel seien sehr wichtig, gab er seinen Zuhörern mit auf den Weg. Ein Rollstuhl sei ein „super Hilfsmittel“, auch ein Computer mit Mikrofon, erklärte Schmidt, der ebenfalls als Buchautor erfolgreich ist. Doch noch wichtiger als jedes Hilfsmittel sei, „sich zu trauen, einen Menschen um Hilfe zu fragen, wenn man an seine Grenzen stoße“, appellierte er an die anwesenden Jugendlichen. Und es sei wichtig Menschen zu haben, bei denen man sich aussprechen und erzählen könne.

Andrea Jagode